SABINE SCHULZ

Das Kanaltheater und die Stadtgesellschaft

Bis vor mehr als sieben Jahren besaß die Stadt Eberswalde nach der Wende kein eigenes Erwachsenen-Theater. Es gab mehrere Amateurgruppen, die zu bestimmten Zeiten im Jahr auftraten. Es fehlte die Bühne, auf der aktuelle Fragen dargestellt und eine spielerische Antwort darauf versucht wurde. Warum plötzlich im Kulturzentrum Exil, welches dem Punkrock nahestand und steht, partizipatives Theater auf die selbstgebaute Bühne unter freiem Himmel kam, lohnt sich genauer anzuschauen. Der Zufall, an den ich nicht glaube, war hier dabei. Es gab ambitionierte Menschen mit Spiellust vor Ort und es gab einen Kulturamtsleiter, dessen Herz kenntnisreich fürs freie Theater schlug. Hinzu kam eine Begeisterung aller Beteiligten für den frühen Brecht. Diese Mischung führte zur Premiere von „Punk a gonny“. Eine so genannte soziale Choreographie mit Punkrockern, deren Musik und dem Männerchor Franz Mücke auf dem Gelände des Exils wurde 2013 entwickelt. Einwohner verschiedener Altersgruppen aus der Stadt meldeten sich zum Theaterspielen oder für Kulissenbau, Technik, Ton usw. Eine besondere Mischung zwischen Laien und Profis entstand.   

Themen folgten, die sich ganz konkret auf Eberswalde und seine Geschichte bezogen. Ein erster Höhepunkt im Jahr 2014 die “DIE HEILIGE GABY DES SVKE”. In diesem Projekt ging es um industrielle Massentierhaltung, Tierzucht und Fleischverarbeitung anhand der Historie verschiedener Werke in der Region. Die Geschichte drehte sich auch um das Ende des real existierenden Sozialismus und darum, was bleibt. Etliche Eberswalder*innen wurden befragt. Ihre Protokolle gekonnt in Szene gesetzt. Begleitend zum Stück gab es diverse Diskussionsrunden im Exil. Diese Inszenierung zog viele Bürger*innen auf Grund ihrer eigenen Biografie zu den Aufführungen. Für einige schien es das ungeliebte Thema zu sein, für viele war es die Begegnung mit ihrer eigenen Geschichte. Die Arbeit mit so genannten Alltagsexperten schuf eine hohe Authentizität.  

Da hieß das Ensemble schon Kanaltheater. Der Finowkanal, von dem sich die Crew inspirieren ließ, liegt Luftlinie vielleicht 500 Meter vom Probenort entfernt. Auch hier ein gewollter Bezug zur Kommune, die seinerzeit selbst gerade erst den Finowkanal für sich wiederentdeckte. Auch ein absichtlicher Bezug zur Alltags-Sprache dieser Stadt,: dem so genannten Kanaldeutsch. Dieses wurde als künstlerisches Mittel forthin mit verwendet.  

Mit dem Projekt „Tatort Lücke“ haben die Akteure alle Register der Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft gezogen. Die Kulturstiftung des Bundes förderte das Stadtmuseum Eberswalde und seinen Kooperationspartner, das Kanaltheater in den Jahren 2017 bis 2019.  Neben der zweijährigen Unterstützung und der neuen Erkenntnisse zur Stadtgeschichte gewann das Kanaltheater hier an Aufmerksamkeit von geschichtsinteressierten Eberswalder*innen, die eher selten den Weg in die Spielstätte im Exil gefunden hätten, aber an den in Szene gesetzten Lücken in der Innenstadt vorbeischauten. Mehr Kontakt zur Stadtgesellschaft ging aus meiner Sicht nicht. All diese bespielten „Lücken“ waren Auftragswerke der Verwaltung, des Museums.  

Natürlich ist auch das Kanaltheater nicht das bildungsbürgerliche Theater, das sich eine Kleinstadt wie Eberswalde vielleicht wünscht. Das will es gar nicht sein, denn es wendet sich an alle Schichten, bezieht sich auf verschiedene Klassen. Gern wird die proletarische Neigung betont, in einer Gegend, die kaum noch als Industriestandort relevant ist.  

Ob die Crew um Regisseurin Heike Scharpff, Dramaturgin Katja Kettner, Produktionsleiter Kai Jahns wirklich in der Stadtgesellschaft angekommen ist, vermag ich nicht zu sagen. Sie ziehen Leute an, die sich selbst als alternativ definieren. Heranwachsende haben hier erste Bühnenerfahrungen gesammelt – Ein Ort der Selbstverwirklichung.  Es gibt mehr als sieben Jahre später etliche Menschen aus der Stadt, aus der Region, die hier ihre Lust auf darstellendes Spiel leben. Auch dass das Kanaltheater nun unter dem Dach der Bürgerstiftung Barnim Uckermark zuhause ist, zeigt die gewachsenen Beziehungen und ein Bekenntnis zur Buntheit.  

Das Kanaltheater im Exil wirkt wie ein eigenes Universum.  Die Handschrift unverkennbar: große Inhalte und Bühnenbilder, ein ganz eigener Genre-Mix, versetzt mit Trash sowie schrägem Humor. Eine Brücke gibt es bei den meisten Inszenierung in die Stadtgesellschaft: Die Suche nach  Interviewpartner*innen zum jeweiligen Thema sowie passenden Kooperationspartnerschaften.  

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